Stefan Baack (33) ist Doktorand am Research Centre for Media and Journalism Studies Groningen. Für seine Dissertation, die er Ende Dezember 2017 abgeben wird, hat er über Datenjournalismus und Civic Technology geforscht. Was es damit auf sich hat und wie der Journalismus von Datenaktivisten profitieren kann, erklärt er in diesem „JoCoView“.
In unserem Vorgespräch hast du gesagt: „Ich bin weder Programmierer noch Journalist.“ Woher kommt dann dein Interesse am Datenjournalismus?
Stefan Baack: „Ich finde Daten grundsätzlich spannend, insbesondere interessiere ich mich aber für die gesellschaftlichen Transformationsprozesse durch ‚Datafizierung‘, also der zunehmenden Quantifizierung und Kategorisierung von Kultur und Gesellschaft. Da ich mich auch für Demokratietheorie interessiere, geht es mir vor allem darum, wie sich Akteure aus der Zivilgesellschaft und Journalisten durch Daten verändern, die einem öffentlichen Interesse dienen wollen.“
Was hast du in deiner Dissertation erforscht?
„Es gibt zwei Forschungsfragen: Zum einen geht es um die Praktiken und Ziele von Datenaktivsten. Inwiefern nutzen sie Daten, um welche Ziele zu erreichen? Zum anderen geht es um die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Datenaktivisten und Datenjournalisten: Inwiefern sind sie sich in ihrer Art zu arbeiten ähnlich und wie tauschen sie sich aus, wie funktioniert die Kooperation miteinander und so weiter. In meiner Masterarbeit habe ich über die Open Knowledge Foundation Deutschland geschrieben, die beispielsweise als datenaktivistische Organisation die Plattform „FragdenStaat.de“ ins Leben gerufen hat und die auch für Journalisten sehr interessant ist. Dadurch bin ich dann auf mein Dissertationsthema gekommen.“
Informationsfreiheit & FragDenStaat.de from Open Knowledge Foundation De on Vimeo.
Und was hast du herausgefunden?
„Datenaktivisten stehen in der Tradition der Open-Source-Kultur oder auch der Informationsfreiheitsbewegung. Damit assoziieren heute noch viele die Idee des ‚Web 2.0‘: Die Idee der offenen Beteiligung, bei der sich jeder einbringen kann, wie zum Beispiel bei Wikipedia. Die Praktiken von Datenaktivisten entwickeln Anwendungen, um Bürgern Partizipation zu erleichtern und diese Anwendungen sind sehr häufig datengetrieben.
Was das Verhältnis von Datenaktiven und Datenjournalisten angeht, ist der offensichtlichste Punkt die Überlappung bei den Skills. Beide arbeiten mit ähnlichen Tools und besorgen sich die Daten beispielsweise via Scraping. Dadurch ist ein leichter Austausch und die Zusammenarbeit bei Projekten möglich. Darüber hinaus haben sowohl die Datenaktivisten als auch die (Daten-)Journalisten den Anspruch, einem öffentlichen Interesse zu dienen und den Bürger zu stärken – sei es durch Programme auf Datenbasis, mit denen die Einwohner leichter ihrer Stimme Ausdruck verleihen und sich gegen die Politik stark machen können, oder wie im Falle von Datenjournalisten in ihrer klassischen Rolle als vierte Gewalt.
In der Journalismusforschung geht es aktuell beispielsweise darum, wie der Datenjournalismus in Newsrooms funktioniert, aber auch wie die Programmierer in den Journalismus integriert werden. Hier gibt es dann die Möglichkeit für Kooperationen der beiden Gruppen – also Journalisten und Datenaktivsten als Team. So könnte beispielsweise ein Tool der Datenaktivisten in eine journalistische Geschichte eingebettet oder gemeinsam daran gearbeitet werden.
Eine der wichtigsten Erkenntnisse meiner Forschung ist, dass es unterschiedliche Gruppierungen im Datenjournalismus selbst gibt, die ein jeweils anderes Verständnis davon haben und die in ihrem Selbstverständnis und ihren Praktiken mal näher am ‚klassischen‘ Journalismus sind, mal größere Überschneidungen mit Datenaktivsten haben. Für Journalisten mit klassischer Journalistenausbildung, die in traditionellen Medienhäusern arbeiten, steht die Story und der Wunsch nach ‚Impact‘ im Vordergrund. Andere Journalisten in weniger traditionellen Setups haben oft deutlich mehr Ähnlichkeiten mit Datenaktivisten. Um zwei Beispiele zu nennen: Die Berliner Morgenpost hat die Ambition, ihren Lesern einen neuen Zugang zu ihrer Stadt zu ermöglichen – ein Anspruch, den viele Datenaktivsten teilen. Das gemeinnützige Recherchezentrum CORRECTIV möchte einerseits den investigativen Journalismus stärken, andererseits aber auch Bürgern die Praktiken und Methoden des Journalismus beibringen. Die Anwendungen von Datenaktivisten schlagen hier oft eine Brücke, da sie sowohl professionellen Journalisten, als auch Bürgern als Recherchemittel dienen können.
Gleichzeitig sehen aber auch ihrem Selbstverständnis nach ‚klassische‘ Journalisten in der Kooperationen mit Datenaktivisten immer stärker eine Chance, ihre Methoden zu erweitern. Auf der anderen Seite versuchen Datenaktiven aber auch, die Recherche von Journalisten zu unterstützen. Dadurch gibt es ein sehr stark wechselseitiges Verhältnis auf vielen Ebenen.“
Bei welchen Projekten haben beide Gruppen zusammengearbeitet?
„Da gibt es einige, ich möchte zwei nennen. Zur Volksabstimmung über die stärkere Bebauung des Tempelhofer Felds in Berlin hat ein Mitglied von Code for Berlin an einem Projekt gearbeitet, welches die geplanten Änderungen visualisiert. Sie hat letztlich mit dem DDJ-Team der Berliner Morgenpost zusammengearbeitet, die das Ganze dann umgesetzt hat (Artikel: „Die interaktive Grafik zum Tempelhofer Feld“).
Das war ein Beispiel für eine direkte Kooperation zwischen beiden Gruppen. Es gibt aber auch viele andere Fälle, in denen die Zusammenarbeit auch eher indirekt stattfindet. Beispielsweise diente bei „kleineAnfragen.de“ eine Story von ZEIT Online über Bahnbrücken in Deutschland als Inspiration (Artikel: „So kaputt sind Deutschlands Bahnbrücken“).“
Hinter Civic Technology stecken technische Konzepte, die das Engagement und die Beteiligung der Bürger fördern. Wie kann der (Online-)Journalismus sich das zu Nutze machen?
„Journalisten können laufend davon profitieren, zum Beispiel wenn sie Projekte wie „KleineAnfragen.de“ und andere Recherche-Tools von Datenaktivisten nutzen. Es ist auch schon häufiger vorgekommen, dass Journalisten auf die Expertise von Datenaktivsten zurückgreifen konnten. Das war beispielsweise bei einem Artikel über die Bundestagsabgeordneten von ZEIT Online so. Die Open Knowledge Foundation Deutschland hatte durch ihr Projekt OffenesParlament einige Erfahrung mit dem Scrapen der Homepage des Bundestages und hat diese mit den Journalisten geteilt (Artikel: „Die große Abgeordneten-Bilanz“. Hintergrund: „155.965 Datensätze für eine Abgeordnetenbilanz“). Bei der Heilbronner Stimme durfte sich die Gruppe „Code für Heilbronn“ regelmäßig in der Redaktion treffen und es fand ein laufender Austausch statt, der auch zu einigen Veröffentlichten geführt hat. Für eine Zusammenarbeit ist es wichtig, dass Journalisten die Daten ihrer Projekte veröffentlichen, damit sie u.a. von Datenaktivisten weitergenutzt werden können.
Allgemein hängt es immer von der jeweiligen Recherche ab, wie genau Journalisten und Datenaktiven kooperieren und voneinander profitieren können. Ein allgemeines Bewusstsein über die Projekte, Fähigkeiten und Interessen von Datenaktivisten ist deshalb das Wichtigste. Darüber hinaus gelingt die Kooperation häufig da besonders gut, wo die Zusammenarbeit von engagierten Einzelpersonen vorangetrieben wird.“
An Civic Technology gibt es aber auch Kritik…
„Das stimmt. Kritiker sagen, dass sich die Datenaktivisten nicht ausreichend mit Machtverhältnissen beschäftigen und beispielsweise den Einfluss von Diskriminierung vernachlässigen. Durch ihre Projekte würden sie dann nur diejenigen stärken, die ohnehin schon engagiert und bevorteilt sind, anstatt die Benachteiligten zu stärken und für eine größere Vielfalt zu sorgen. Außerdem gibt es Kritik daran, dass sich Datenaktivisten häufig nicht klar von kommerziellen Interessen abgrenzen. Möchte man vor allem den Bürger stärken, indem man die Arbeitsweise der Verwaltung und Regierung verändert, oder indem die einfach alle Daten veröffentlicht werden und profitorientierte Unternehmen eine größere Rolle spielen? Wie kann man sich davon abgrenzen und sollte man das überhaupt? Außerdem muss man bei Themen wie Open Data natürlich darauf achten, dass die Privatsphäre der betroffenen Personen nicht verletzt wird. Allerdings muss man dazu auch sagen, dass die Datenaktivisten mit denen ich gesprochen habe sich dieser Kritik bewusst sind und darüber diskutieren.“
Sowohl die Datenaktivisten, als auch die Datenjournalisten müssen häufig für ihre graphischen Umsetzungen programmieren können, wenn sie keine entsprechenden Tools verwenden. Journalismus und Programmierung: Passt das für dich zusammen?
„Auf jeden Fall. Natürlich muss nicht jeder Journalist programmieren können, aber es macht den Journalismus stärker. Es ist eine wichtige Expertise, die im Haus vertreten sein sollte oder — und hier spielt auch wieder der Verhältnis mit Datenaktivisten eine Rolle — die man sich zumindest zeitweise extern reinholen kann. Gerade lokale Medienhäuser sollten sich nach ‚Code for‘-Gruppieren in ihrer Region umsehen, mit denen man kooperieren könnte.“
Programmierst du eigentlich auch selbst?
„Ich habe grundsätzliche Kenntnisse in Python und würde gerne mehr machen — dafür hatte ich aufgrund der vierjährigen Dissertation aber bisher nicht so die Zeit. Allerdings habe ich dafür auch Scraper geschrieben und mit Tabellenkalkulationsprogrammen und Netzwerkanalysetools wie Gephi gearbeitet. Da meine Forschung qualitativ ist, habe ich aber vor allem Interviews geführt, viele Onlinematerialen gesammelt, ethnografisch gearbeitet und die Daten mit Tools zur qualitativen Analyse ausgewertet. Hätte ich quantitativ gearbeitet, hätte ich in dem Bereich noch mehr Expertise benötigt.“
Nach der Forschung: Wie steht es um den Datenjournalismus in Deutschland?
„Er ist insgesamt auf einem guten Weg. Er sollte aber auch offen sein für andere Formen des Journalismus, wo beispielsweise nicht nur die Story, sondern die Daten und das Explorative im Vordergrund stehen. Das ist beispielsweise beim Busfahrt-Projekt der Berliner Morgenpost so (Artikel: „M29 – Berlins Buslinie der großen Unterschiede“). Es gibt einige Vorbehalte gegen solche Projekte. Das wurde bei dem ‚Qualität-Battle‘ auf der Netzwerk Recherche Jahreskonferenz 2015 (siehe Video unten) recht gut deutlich. In meinen Interviews wurde deutlich, dass einige ihrem Selbstbild nach ‚klassische‘ Journalisten befürchten, dass Journalismus ohne klare Story die Idee des ‚harten‘, investigativen Journalismus verwässert. Ich denke, dass Offenheit in dieser Richtung gut tun würde. Die neuen Möglichkeiten und Formate sollten zunächst als Bereicherung angesehen werden. Guter Datenjournalismus ist für mich, wenn er dem öffentlichen Interesse dient. Investigativen Arbeiten mit Geschichte sind ein Mittel dafür, aber nicht das einzige.
Die Dissertation ist bald fertig – was hast du danach vor?
„Im Dezember ist die Abgabe, im nächsten Jahr wird sie veröffentlicht. Derzeit überlege ich noch, wie es dann weitergeht. Eins ist auf jeden Fall sicher: Ich bleibe am Thema dran.“
Quelle Beitragsbild: Stefan Baack