Claus Arndt ist Beigeordneter und ehemaliger Leiter der Stabstelle E-Government bei „Offene Daten Moers“, einer Abteilung der Modellkommune und Stadt Moers in Nordrhein-Westfalen. In diesem JoCoView zeigt er, wie es ist, auf der anderen Seite zu stehen: also die Daten herauszugeben und Anfragen von Journalisten zu erhalten. Ebenso erklärt Arndt, wie die Zusammenarbeit läuft, und was er sich auch von anderen Kommunen wünschen würde.
Wir Journalisten sind ja diejenigen, die immer anfragen und Daten benötigen. Wie ist es, auf der anderen Seite zu arbeiten und zu sehen, was Journalisten mit diesen Daten umsetzen?
Claus Arndt: „Ja, wie ist das? In Moers stellen wir die Daten seit 2013 bereit, also relativ früh für deutsche Verhältnisse. Die haben wir veröffentlicht ohne zu wissen, was damit passiert. Das kann in ganz verschiedene Richtungen gehen: sei es Wissenschaft, Daten-Enthusiasten, Schulen – da machen wir in Moers ein ganz schönes Projekt zu – oder auch Datenjournalisten. Deshalb ist es erstmal toll zu sehen, dass sich Menschen unserer Daten annehmen. Das war ja gerade zu Beginn der Open-Data-Phase hier in Deutschland völlig ungewiss, ob mit den Daten überhaupt etwas passiert. Es gab keine große Aufmerksamkeit oder Community für das Thema. Das hat sich aber geändert – sehr zum Positiven. Wir freuen uns, wenn sich gerade auch Medienvertreter der Daten annehmen und den Bürgern schwierige Sachverhalte auf Basis solcher Daten und Visualisierungen nahe bringen. Für uns ist das immer wieder ein wunderbares Argument, wenn Daten verwendet werden, um anderen zu zeigen, dass sie auch ihre Daten rausgeben sollen, denn da passiert etwas mit.“
Auch der Datenjournalismus wächst immer mehr in Deutschland. Merken Sie, dass es mehr Anfragen gibt als vorher?
„Das kann ich so nicht bestätigen. In Moers gehen wir ganz aktiv auf die Nutzer der Daten zu. Ich erinnere mich noch ganz gut an mein erstes Meeting bei CORRECTIV in Essen, bei dem so Menschen wie Kira Schacht, Marie-Lousie Timcke und andere saßen und gegen Ruhrgebietsstädte gewettert haben, weil sie keine Daten zur Verfügung stellen. Da hab ich gesagt: ‚Schaut doch mal nach Moers! Da könnt ihr euch bedienen. Wir haben paar Hundert Datensätze online. Es geht auch anders. Es wäre auch total cool, wenn ihr ein Zeichen setzt und unsere Daten nehmt, vielleicht auch in Kooperation mit der Lokalredaktion, damit mit den Daten etwas passiert.‘ Da war die Begeisterung erstmal groß. Das hat sich zu einem Austausch entwickelt, der in unterschiedliche Richtungen geht: Kira bietet beispielsweise im Rahmen unseres Hackdays Workshops für Frauen und Mädchen an, ich habe dafür beim Event Campfire ein bisschen was erzählt. Es ist aber, glaube ich, sehr schwer, in der Medienlandschaft heute, im lokalen Bereich, die Datennutzung zu stimulieren. Datenjournalismus drängt noch nicht in jede Ecke des Landes, vor allem ist er eher bei den überregionalen Medien zu finden. Auch, dass mal angefragt wird, ob wir Daten haben, die so noch nicht Online zu finden sind, das passiert – wahrscheinlich deutschlandweit – noch nicht richtig. Das finde ich sehr schade.“
Klasse: @daten_drang von meiner Lieblings-#ddj-Schmiede @journocode gibt zum Hackday in #Moers eine Workshop-Reihe https://t.co/MdxWetDJO9 pic.twitter.com/KSGy0pJdoZ
— Claus Arndt (@derarndt) February 3, 2017
Woher bekommen Sie denn eigentlich die Daten, die Sie dann selbst bei „Offene Daten Moers“ veröffentlichen?
„Neumodisch würde ich sagen, wir ‚monitoren‘ das, was wir an Datenbeständen haben. Altmodisch würde ich sagen, wir ziehen hier durch die Büros und fragen die Leute, was sie so für uns haben. Es findet natürlich in einem sehr persönlichen Austausch statt. Man kriegt Impulse von außen. Wenn man zum Beispiel sieht, dass die Bonner gerade einen Datensatz veröffentlicht haben, den wir noch nicht bereitstellen, dann fragt man im Haus an der zuständigen Stelle, wie es damit aussieht. Dadurch, dass das jetzt seit mehreren Jahren ein Thema bei uns ist, merken viele im Haus, dass schon cool ist, was damit passiert. Gerade, wenn sie einzelne Beispiele sehen. Deshalb kommen auch Kollegen mit Daten und fragen, ob das nicht etwas für unser Daten-Portal wäre. Das ist der Idealfall, wenn Leute eine Excel-Tabelle haben und denken ‚Das ist doch für Open Data geeignet‘.“
Wenn Sie jetzt bei einem Kollegen von möglichen Daten gehört haben, wie geht es dann damit weiter? Veröffentlichen Sie die gleich oder werden die vorher noch überprüft und gesäubert?
„Das hat sich ein bisschen gewandelt. Wir führen hier einen recht pragmatischen Ansatz. Wir schauen nicht, was nicht geht, sondern machen einfach. In Zusammenarbeit mit der Community haben wir relativ gut gelernt, wie wir vorgehen müssen. Die rechtliche Prüfung haben wir schon immer gemacht, uns jeden Datensatz angeschaut. Erstens: Wem gehören die Daten überhaupt? Zweitens: Gibt es da datenschutzrechtliche Probleme? Es gibt ganz viele Datensätze, die unproblematisch sind. Wahldaten zum Beispiel. Geodaten sind auch schnell überprüft, die werden dann veröffentlicht. Bei einigen müssen wir die Struktur anpassen, zum Beispiel das Dateiformat konvertieren – etwa in CSV. Es werden teilweise Datenausgaben angepasst. Zum Beispiel will jemand eine App machen, hätte die Daten lieber in XML als JSON. Das machen wir und sagen dann: ‚Gib uns die Struktur vor, welche Felder brauchst du und wie sollen die bezeichnet werden? Wir bereiten die Daten einfach sinnvoller auf und der Entwickler kann mit geringerem Aufwand sein Projekt umsetzen. In dem Zuge haben wir sehr viel gelernt, was geht, was nicht geht, und was die Leute benötigen.“
Neuer Datensatz und somit die Nr. 300 😃: Strassenverzeichnis der Sozialraumteams in #Moers https://t.co/HGD2BBZTdD (R) #Strassenverzeichnis #Sozialraumteams
— Offene Daten Moers (@OpenDataMoers) February 27, 2018
Haben Sie selbst programmieren gelernt, da Sie für verschiedene Wünsche auch ein gewisses Know-How benötigen?
„Ich komme aus einer völlig nicht-technischen Ecke als Beamter. Über die Jahre habe ich mich mit Web und digitalen Themen beschäftigt und so ein Grundverständnis und hohe Affinität zu solchen Fragestellungen erlangt. Ich bin weder ein Hardware-Spezialist, der Computer auseinander bauen und noch besser zusammensetzen kann. Noch bin ich ein Programmierer. Ich kann einen HTML-Code lesen und weiß, was CSS ist. Aber die Feinheiten von Python, JavaScript und Co., die sind mir nach wie vor verborgen. Ich habe im Team jemanden sitzen, der auch programmieren kann. Wenn es also Spezialprobleme zu lösen gibt, frage ich ihn. Das klappt wunderbar. Ich bin auch Mitglied von „Code for Niederrhein“, unserer regionalen Entwickler-Community, die sich in der Zwischenzeit gegründet hat. Da bin ich aber eher der Moderator und derjenige, der Datenwünsche aufgreift und als Informant berichtet, was so im Bereich ‚Open Government‘ passiert. In Moers soll in diesem Jahr auch ein ‚Hackerspace‘ aufmachen. Diese Prozesse wollen wir fördern.“
Was fasziniert Sie so an Daten?
„Ganz unemotional gesprochen, sind sie erst einmal Bestandteil meiner Arbeit hier als Leiter der Stabstelle, die ich bis zum letzten Jahr geführt habe. Wir müssen ihren Nutzen für die Stadtverwaltung und die Stadtgesellschaft bewerten und setzen sie mit einem gewissen Enthusiasmus um. Die emotionale Seite, die den Enthusiasmus beflügelt, ist zu sehen, was aus so etwas profanem wie Daten entstehen kann. Es ist ein unglaublich kleiner Schritt für eine Verwaltung, Daten zur Verfügung zu stellen – in ihnen steckt jedoch ein unglaubliches Potenzial. Wir hatten ja 2012/2013 deutschlandweit eine rege Diskussion im Kontext des Bundesdatenportals. Die Open Knowledge Foundation und Co. haben gefordert: ‚Gebt uns doch eure Daten, wir machen was Tolles damit.‘ Ich fand diesen Ansatz einfach überzeugend. Was sollen nur wir unsere Daten nutzen, wenn es da draußen ganz viele Leute, Firmen und Wissenschaftler gibt, die nur darauf warten, dass man mal aktiv solche Daten streut? Was mich nämlich auch beflügelt, sind eben diese Personen, mein emotionaler Gegenpart sozusagen, die mit so einer Verwaltung so cool und dankbar interagieren, auf Slack abends noch locker Sachen bequatschen. Eine ganz neue Form der Zusammenarbeit. Wenn ich zum Beispiel sehe, was der Thomas Tursics, der in Berlin sitzt, mit unseren Moerser Daten schon gemacht hat: das ist wahnsinnig! Dieser Enthusiasmus ist ansteckend. Und dann kommt eine Bewegung, die ich super spannend finde: der Datenjournalismus. Den hatte ich am Anfang gar nicht auf dem Schirm. Dann sehe ich die Journocode-Leute und denke: ‚Die sind völlig begabt, in dem, was sie tun. Total interessiert und locker.‘ Das gibt einem so viel zurück.“
Der Code-Workshop von @tursics ist im Gange – viel Spaß 💪 #ODDMO18 pic.twitter.com/a6S4Eouqag
— Offene Daten Moers (@OpenDataMoers) March 16, 2018
Was machen offene Daten für Sie aus?
„Kommunen veröffentlichen seit Jahren schon Daten online als PDF. Es gibt ganz viele strukturierte Daten, wie den Haushalt, der gepflegt und immer wieder aktualisiert wird. Das ist bei vielen Kommunen normal. Aber diesen mentalen Schritt hinzubekommen, das als Open Data zu veröffentlichen – da scheitert es bei den meisten. Nur online reicht nicht. Wir orientieren uns beim Veröffentlichen an den Kriterien der ‚Open Definition‘, also dass sie maschinenlesbar, lizenzfrei und möglichst aktuell sind. Der Traum ist ja immer, dass man die Daten über eine Schnittstelle in Echtzeit ausgibt. Da stecken wir aber noch in den Kinderschuhen.“
Sie machen das Projekt „Daten machen Schule“. Wenn man in die Lehrpläne schaut: Wie gut sind Daten da integriert?
„Es braucht definitiv solche Projekte. Wir sind jetzt seit über vier Jahren dran. Wir haben gemerkt, dass Schulen da sehr reformresistent sind. Es war schwierig, eine Schule und einen Lehrer zu finden, mit dem man mit meinen Studenten das Projekt umsetzen kann. Man kann sogar auf Papier arbeiten, man muss noch nicht mal programmieren können. Was man braucht, ist ein Interesse daran, mit Daten zu arbeiten, die meistens noch viel aktueller sind, als das, was in den Schulbüchern steht. Einfach mal neue Wege gehen. Da tun sich leider Lehrer noch sehr schwer. Es gibt auch äußere Rahmenbedingungen, die das alle ein bisschen erschweren, wie dass die Schulen nicht gut mit Technik ausgestattet sind. In diese Wunde wollen wir mit dem Projekt den Finger legen. Das ist kein Problem der Lehrpläne. Wir stehen da mit dem Lehrer immer in Austausch, damit die Daten und Anwendungen, die wir mitbringen, Bezug zu den Unterrichtsinhalten haben. Es gibt in allen Fächern überhaupt keine Probleme, offene Daten zu integrieren. Sei es in Mathe, dass sie mal mit echten Daten die Prozentrechnung und Statistik üben. Das macht den Kindern vielleicht mehr Spaß, als fiktive zu nehmen. Wir haben auch geschichtliche Daten da, zu Wahlen, Haushalt und so – perfekt für Politik-Fächer. Man muss nur erkennen, dass eine Stadt solche Daten zur Verfügung stellt und sie diese nutzen können.“
Tipp für Kurzentschlossene: Morgen präsentieren wir in #Moers gemeinsam mit der @okfde die schönen Ergebnisse aus dem von @OpenNRW geförderten Projekt #DatenmachenSchule Es geht um die Nutzung von #opendata im Schulunterricht. https://t.co/fnQXzOlWty #Schule #Bildung #OER
— Claus Arndt (@derarndt) December 14, 2017
Was würden Sie sich mit Blick in die Zukunft für „Open Data“ wünschen?
„Ach, das Wunschkonzert. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Städte und Behörden auf den Zug aufspringen. Je mehr mitmachen, desto interessanter wird es für potentielle Datennutzer. Möglichst flächendeckend müsste Open Data da an den Start gehen. Ich hätte am liebsten ein Open-Data-Gesetz, das Kommunen dazu verpflichtet. Ich weiß, das sieht schlecht aus, weil das Land auch Sorge hat, dass es Kosten übernehmen muss. Es soll ja in NRW ein Open-Data-Gesetz geben, das aber nicht die Kommunen in die Pflicht nimmt. Ich wünschte mir, dass es intelligente Förderkonzepte gibt, global mehr Aufmerksamkeit für das Thema. Wir arbeiten in Moers sehr stark daran. Es gibt noch tausend andere Wünsche, aber dann wären wir morgen noch nicht fertig.“
Hätten Sie noch einen Tipp, auf was Journalisten beim Nutzen von Daten achten sollten?
„Ich weiß nicht, ob ich das Tipp nennen kann – auch eher Wunsch. Und zwar, dass es auch auf lokaler Ebene einen Austausch mit den Daten gibt. Wir bekommen immer wieder Anfragen von Journalisten, das ist der klassische Weg. Ich sehe hier in Moers einige Datensätze, bei denen ich denke ‚Boah, wenn da mal ein Journalist draufschauen würde, der würde da definitiv seine Story finden.‘ Und wenn er das noch mit der entsprechenden Expertise aufbereiten würde: Das wäre mein Abschlusswunsch.“
Die Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt die offenen Daten wie folgt: „Der Begriff „offene Daten“ (englisch Open Data) ist ein einfaches Konzept: Daten sind dann „offen“, wenn sie durch jedermann und für jegliche Zwecke genutzt, weiterverarbeitet und weiterverbreitet werden können. Dieses Konzept ist im akademischen Bereich nicht neu und ähnelt den Konzepten von Open Access, Open Content und Open Source.
Der Begriff offene Daten schließt Daten aus Wissenschaft und Forschung mit ein, dennoch wird er heute oft synonym für „Open Government Data“ verwendet, also für „offene Daten der öffentlichen Verwaltung“ oder kurz „offene Behördendaten“. Offene Behördendaten spielen eine wichtige Rolle im Prozess der Öffnung von Regierung und Verwaltung, der als Open Government bezeichnet wird.“ Um wirklich „Open Data“ anzubieten, gibt es Kriterien, die erfüllt sein müssen, wie beispielweise die Maschinenlesbarkeit und Daten als Primärquelle.
Quelle Beitragsbild: Claus Arndt