Freudenberg: „Jedes Kind soll mal eine Zeile Code geschrieben haben“

Informatik als Pflichtfach – das wird in einigen Bundesländern diskutiert. In dem von Julia Freudenberg, Organisatorin bei der Hacker School, gibt es „lediglich ein Halbjahr in den Hamburger Stadtteilschulen, in welchem Informatik verpflichtend ist – und dabei ist der Schwerpunkt dann Medienkompetenz, nicht Programmieren“, sagt sie. Wieso Julia Freudenberg es aber so wichtig findet, dass Kinder Programmieren zumindest ausprobieren, was die Hacker School dazu beiträgt und als große Vision vor Augen hat, erzählt sie in diesem Interview.

Was ist euer Ziel mit der Hacker School?

Julia Freudenberg mit Organisations-Kollege Benjamin Heberling. Foto: Hacker School/Christian Grollmann

Julia Freudenberg: „Die Hacker School hat zwei Ziele. Zum einen geht es darum, Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 18 Jahren für IT zu begeistern. Also nicht ein Curriculum abzuarbeiten, sondern ihnen das Gefühl zu vermitteln, das ist toll, das macht Spaß. Das machen wir durch ‚Hacker School Sessions‘, bei denen wir zwei IT-Spezialisten aus der Hamburger Wirtschaft nehmen, die mit zehn Kindern einen Hacker School Kurs machen. Zum anderen wollen wir IT-Spezialisten unter den Geflüchteten suchen und die mit IT-lern aus der Hamburger Wirtschaft zusammenbringen. Und die machen dann gemeinsam, wieder mit zehn Kindern, diese Hacker Schools.“

Wenn man auf eure Homepage schaut, scheint euch der Blick auf die Lehrpläne der Schulen gar nicht so begeistert zu haben. Wieso denn?

„In 2013 ist es nicht gelungen, dass im sogenannten Pflichtfach Informatik tatsächlich auch Programmieren unterrichtet wurde. Und es ist ebenfalls nicht gelungen, ein Pflichtfach Informatik, was seinem Namen wirklich Rechnung trägt, in allen Schulformen zu etablieren. Hast du dazu weitere Fragen?“ *lacht*

Keine.

„Es ist tatsächlich national so, dass es immer wieder Bestrebungen gibt, IT verpflichtend als Schulfach mit reinzunehmen. Es gibt aber auch Bundesländer, die haben das gar nicht. Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Probleme mit der Hard- und Software, mit den Lehrern an sich – kurz: da passiert einfach nicht viel. Und das ist ein ganz großes Problem.“

Ist das auch der Grund, weshalb ihr eure Kurse gerade für 11- bis 18-Jährige, also Jugendliche, anbietet, weil die Schulen das eben nicht übernehmen?

„Ganz genau. Wir haben einfach gesagt, wir fangen ab 11 an – wir haben hier und da auch 10-Jährige –, da wir mit professionellen IT-lern und nicht mit Sozialpädagogen arbeiten. Da wird also eine gewisse Lese- und Schreibfähigkeit vorausgesetzt, weil sie nicht den Schwerpunkt auf der Didaktik haben, sondern auf dem Spaß. Da gehst du mit Kindergarten- und Grundschulkindern einfach ganz anders um. Ab 11 sind sie auf der weiterführenden Schule und da ist dann eben eine andere Ansprache möglich. Deshalb unsere Entscheidung für dieses Alter.“

Wieso ist es denn so wichtig, dass bereits Jugendliche das Programmieren lernen?

„Weil viele Entscheidungen sehr früh getroffen werden. Was wir sehen einfach, dass wir ganz vielen Vorurteilen begegnen – gerade bei Mädchen: ‚Ja, ich bin ja nicht so gut in Physik!‘ Da weiß ich auch nicht, wieso das so doll helfen soll. Diese Vorurteile wie ‚Das ist bestimmt nichts für mich‘, ‚Ich kann das eh nicht‘ – beziehungsweise die Fehleinschätzung ‚Ich kann ja IT, ich benutze Facebook‘. Wir züchten ein Heer an Anwendern heran, aber wir haben nur noch ganz wenige, die es wirklich programmieren können und wissen, wie diese Maschinen gesteuert werden. Deshalb wollen wir so früh wie möglich damit anfangen, um da noch Entscheidungen für die Zukunft treffen zu können.“

Apropos Vorurteile, die du ja schon angesprochen hast: Ihr habt doch bestimmt wegen eures Namens schon häufiger gehört „Was – Hacker? Sind das nicht die Bösen?“

„Natürlich. Ein ‚Hack‘ ist aber eigentlich in der Programmiersprache die Bezeichnung für eine in sich abgeschlossene, kurzfristige Lösung für ein bestehendes Problem. Also eine Abgrenzung zu Software-Development, was ja länger dauern kann. Natürlich ist der Name cool, er polarisiert, aber das ist auch etwas womit wir spielen. Wenn wir Jugendliche ansprechen wollen, dann hilft das nichts, wenn wir ‚Schule zur Inspiration deiner Zukunftsplanung‘ heißen, sondern es ist der Name, der begeistert. Der ist auch so ein bisschen tricky und das macht es spannend. Für Jugendliche ist er cool und wir lieben ihn.“

Mit welchen Programmiersprachen arbeitet ihr eigentlich?

„Wir haben kein Curriculum. Wir nehmen das, was die Programmierer, beziehungsweise ‚Inspirer‚ (Englisch für Anreger, inspirierende Person), wie wir sie nennen, den Kindern zeigen wollen. Wir haben häufig Java, JavaScript, C#, HTML, Scratch. Es ist bei uns einfach so, dass wenn jemand für etwas brennt, dann kann er das viel besser vermitteln. Mein Mann, der bei uns auch Inspirer ist, hat sich jetzt einen 3D-Drucker gekauft, weil er das Programmieren von 3D-Druckern mit den Kindern einfach ausprobieren will. Ich glaube, das werden total tolle Kurse. Wenn du selber merkst, dass der Erwachsene das total gut findet, was er macht, dann ist es nur noch ein ganz kleiner Schritt bis die Kinder das merken und es auch toll finden.“

Welche Rolle übernimmst du im Team?

„Ich bin bei uns der Trampelpfad-Vorläufer, ich probiere also alle neuen Wege aus und wir entscheiden dann, was die besten nächsten Schritte sind. Wir haben seit Sommer letzten Jahres durch das ‚Hacker School PLUS‘-Projekt mit der Förderung von Geflüchteten und ihrer Integration in den Arbeitsmarkt die Möglichkeit, dass wir zwei Vollzeitstellen im Team haben für die Akquise von Geflüchteten und das Matchen von Geflüchteten und Inspirern. Und ich baue grundsätzlich die Organisationsstruktur auf. Ein neuer weiterer Kollege schaut beispielsweise: Wann können wir auch bei anderen Firmen Hacker Schools anbieten? Wer macht Kurse? Wie können wir neuen Inspirern zeigen, wie solche Kurse ablaufen? Wie können wir ihnen klar machen, dass es nicht um Wissensvermittlung, sondern um Begeisterung geht? Wo organisiere ich das alles? Brauchen wir neue T-Shirts? Das war vorher auch alles so in meinem Bereich. Mittlerweile mache ich das Rückgrat und schaue, wie und mit welchen Partnern wir möglichst viele dieser Hacker Schools anbieten können.“

Kannst du selbst auch programmieren?

„Wenig. Ich habe meine IT-Kompetenz geheiratet – also mein Mann ist IT-ler. Wobei ich jetzt tatsächlich auch anfange, mich in einige Bereiche einzuarbeiten, um einfach ein besseres Verständnis dafür zu haben, was die Anforderungen sind und wie man es noch besser erklären kann.“

Und woher kommt dann dein Interesse für den gesamter IT-, Hacker-, Coding-Bereich?

„Ich finde es immer spannend herauszufinden, wo Kerndimensionen von Strukturen liegen. Wir sehen einfach, wie stark die Digitalisierung voranschreitet und wie wichtig es ist, das zu lernen. Ich habe selber zwei Kinder und bin da einfach begeistert, wie Kinder lernen und wie einfach du auch die Begeisterung von Kindern triggern kannst, indem du sie ernst nimmst und sie selber finden lässt. Ich habe mich vorher mit der beruflichen Integration von Geflüchteten ehrenamtlich in den letzten drei Jahren beschäftigt. Ich mache dazu auch noch meine Doktorarbeit in der zweiten Elternzeit – so hängt das jetzt alles miteinander zusammen. Deshalb habe ich, als mir diese Arbeitsstelle von einem Freund angeboten wurde, fröhlich meinen Job in der Wirtschaft gekündigt, um hier etwas Sinnvolles zu machen. Für Kinder. Für Zukunft. Und für Geflüchtete.“

Deine Kinder sind aber wahrscheinlich noch zu jung, um an den Kursen teilzunehmen, oder?

„Ja. Mein Tochter ist vier, mein Sohn acht Jahre alt. Aber die Begeisterung kannst du da auch schon machen. Kennst du die HABA-Digitalwerkstatt? Die machen sowas Ähnliches wie wir, aber nicht ehrenamtlich und für jüngere Kinder von sechs bis 12. Den Geburtstag meines Sohnes haben wir in der HABA-Digitalwerkstatt gefeiert. Da können sie Roboter zusammenbauen, programmieren – das war ein großer Spaß.“

Ja, genau. Das ist mega cool. Du hast damit ja auch schon andere angesprochen: Ihr sitzt in Hamburg, da sitzen zum Beispiel auch App Camps, die ebenfalls Kindern das Programmieren beibringen wollen. Ist das eher Kooperation oder Konkurrenz? 

„Die Knodels, also Diana und Philipp, die das aufgebaut haben, die haben etwa gleichzeitig angefangen wie die Hacker School – ich glaube, ein paar Monate davor. Sie haben also noch engeren Kontakt zu Andreas und David, die das hier gegründet haben. Wir haben aber schon gesprochen, dass wir uns zeitnah zusammensetzen wollen. Der Markt ist so groß und wir sind da alle nicht mit der hardcore Gewinnerzielungsabsicht unterwegs. Das reicht für alle. App Camps ist ein bisschen anders aufgestellt. Sie haben den Schwerpunkt darin, dass sie Schulen IT-Unterrichtsmaterial zur Verfügung stellen. Sie bieten auch Kurse für Mädchen ab 13 Jahren an – ursprünglich haben sie Summercamps gemacht, jetzt machen sie das, glaube ich, ein Mal die Woche. Das ist super großartig! Da können wir Kinder auch einfach weitervermitteln. Was momentan noch fehlt und im Aufbau ist, ist dieses Netzwerk zu sagen: ‚Boah, ich find’s geil. Wann ist die nächste Session? Wo kann ich noch hingehen?‘ Da arbeiten wir gerade dran, das alles untereinander zu verknüpfen.

Anmerkung: Mit App Camps-Gründerin Diana Knodel habe ich auch ein Interview geführt. Du findest es hier: „Knodel erklärt ‚App Camps‘ und das Programmieren für Kinder“

Welche Kurse kommen denn thematisch so als nächstes?

Ende Oktober haben wir eine große Session bei der Ministry Group, im November sind wir in den Bücherhallen und Ende November dann wieder bei OTTO. Wir gehen sehr gern auch in andere Firmen, damit wir nicht alles sozusagen Zuhause bei der Ministry Group, die uns hostet, machen. Da haben wir unser Büro. Es gibt auch immer Kurse zu Micro:bits. Das sind ganz kleine Computer. Es gibt in der Regel etwas mit Scratch. Ich hoffe, wir haben dieses Mal auch wieder einen Minecraft-Kurs. Das ist im Moment noch im Werden, da wir die Inspirer anfragen, wer welchen Kurs anbieten möchte. Ich hoffe einfach auf eine ganz rege Beteiligung.“

Anmerkung: Das aktuelle Programm in den deutschlandweiten Städten findet ihr hier: „Hacker School Programm 2018“

Noch ein Blick in die Zukunft: Was ist dein Wunsch im Bezug auf Jugendliche und Programmieren?

„Die Vision von der Hacker School teile ich total: Jedes Kind in Deutschland soll ein Mal die Gelegenheit haben, eine Zeile Code geschrieben zu haben und dadurch aktiv damit in Berührung kommen. Um dann einfach die Entscheidung treffen zu können: Ist das etwas für mich oder nicht? Es müssen nicht alle IT studieren, aber es ist so sinnvoll, wenn du es ein Mal gemacht hast, ob es deins ist oder nicht. Und das ist die Vision, dass das in Zukunft möglich sein wird. Etwas kurzfristiger wollen wir in Hamburg die Kurse anstatt halbjährlich deutlich häufiger anbieten. Das Ziel ist es, sie monatlich anbieten zu können und über die nächsten zwei Jahre mit diesem Konzept der Hacker School in die Top 20 Städte in Deutschland zu kommen. Wir haben auch schon unterschiedliche Anfragen. Das soll einfach ein Modell werden, das wirklich deutschlandweit perspektivisch verfügbar ist.“


Update – 8. November 2018: Deutscher Integrationspreis

Die Hacker School war beim Deutschen Integrationspreis, bei dem in einem Crowdfunding-Contest die beste Projekte mit einer jeweiligen finanziellen Summe ausgezeichnet werden. Julia Freudenberg (Foto links) war mit vor Ort:

 


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Quelle Beitragsbild: Teilnehmer bei der Hacker School. Foto: Hacker School/Christian Grollmann

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